Was tun als Zeug:in bei (rassistischen) Polizeikontrollen?

Wer kennt das Gefühl nicht: Wieder eine Polizeikontrolle, wieder stehen mehrere schwerbewaffnete Beamt:innen um die kontrollierte Person und wieder fühle ich mich handlungsunfähig und ohnmächtig. Es bleibt ein Gefühl von Hilflosigkeit, Ärger und Unzufriedenheit. Das ging uns genauso und wir haben viele Anläufe benötigt, um aktiv zu werden. Deswegen haben wir uns näher mit dem Thema beschäftigt, Workshops mit Rechtsanwält:innen gemacht und uns ausgetauscht.

Polizeikontrolle
Bewahre Ruhe und verschaffe dir zuerst einen Überblick über die Situation. Bedenke, dass du den möglichen Kontext und Grund des Einsatzes nicht kennst. Am besten fragst du dann zuerst, ob von der kontrollierten Person Hilfe und Unterstützung erwünscht ist (Z. B. als Beistand, siehe unten). Wenn das nicht der Fall ist, respektiere das. Da während der Kontrolle deine unmittelbaren Handlungsoptionen begrenzt sind, kannst Du  die Kontrolle beobachten und darfst auch deine Meinung dazu sagen, aber verhalte dich deeskalierend. In die Kontrolle solltest du nicht eingreifen, denn damit würdest Du polizeiliche Maßnahmen stören und selbst Ziel polizeilicher Maßnahmen werden können. Hier hilft es, nicht allein zu sein und ggf. Passant:innen anzusprechen. Es ist immer sinnvoll bei Polizeikontrollen anwesend zu sein, damit es Zeug:innen gibt. Da Polizeikontrollen gegen über People of Color öfter als bei anderen Personengruppen gewalttätig verlaufen, bietet deine reine Anwesenheit bereits einen gewissen Schutz.

Du kannst dir Notizen zu Datum und Uhrzeit machen, die Adresse des Ortes, die Kennzeichen der Einsatzwagen und die Dienstnummern der Polizist:innen notieren und ein Foto der Gesamtsituation machen. Du darfst aus der Distanz filmen, darfst die Filmaufnahmen aber nicht in jedem Fall veröffentlichen (hole dir vor einer Veröffentlichung rechtlichen Rat). Vermeide Tonaufnahmen von verständlichen Gesprächen, denn das gesprochene Wort ist besonders geschützt und das ist der Polizei sehr wichtig (um diesen Punkt werden aber gerade auch Gerichtsverfahren geführt). Porträt-Aufnahmen von Polizist:innen darfst du machen, aber nicht veröffentlichen.

Das sehen die Polizist:innen häufig anders und auch wenn du später Recht bekommst, ist in so einem Fall das Smartphone im Zweifelsfall erst mal weg.
Polizist:innen müssen auch ihre Dienstnummer mitteilen. Das kann für spätere (rechtliche) Schritte relevant sein. Am besten fertigst du von Kontrollen, die du für gewalttätig oder rassistisch hältst, ein Gedächtnisprotokoll an. Auch solltest du deine Kontaktdaten an die kontrollierte Person weiter geben oder ihr tauscht sie am besten aus, sofern das möglich ist. In Gerichtsprozessen, die oft erst nach längerer Zeit stattfinden, sind sonst nur Polizeizeug:innen zugegen, dafür ist dann auch dein möglichst genaues Gedächtnisprotokoll hilfreich.

Du kannst dich als Zeugin von solchen Vorfällen auch bei  KOP Berlin melden , denn manchmal werden Zeug:innen für solche Vorfälle gesucht und nicht immer gelingt der Austausch von Kontaktdaten vor Ort.

Kommt es zu Platzverweisen, Aufenthaltsverboten oder Anzeigen, ist es in jedem Fall ratsam, ein:e Anwält:in zeitnah aufzusuchen (dafür die Vorgangsnummer!) und Widerspruch gegen die Maßnahme einzulegen. Wer über geringe finanzielle Mittel verfügt, kann über die Prozesskostenhilfe unterstützt werden, Anwält:innen wissen, wie das geht.

Beistand
In einer Polizeikontrolle kannst du dich auch als Beistand anbieten. Nach §14 Verwaltungsverfahrensgesetz Absatz 4 Satz 1 kann jede:r als Beistand handeln, wenn die von der Maßnahme betroffene Person zustimmt. Also einfach mal nachfragen. Dann darf dich die Polizei (theoretisch) nicht wegschicken.
Du kannst betroffene Personen unterstützen, indem du z. B. übersetzt oder den Hinweis gibst, keine Aussagen zu machen, nichts zu unterschreiben, nach den Dienstnummern und der Vorgangsnummer zu fragen.
Leider ist diese Rechtsgrundlage nicht allen Polizeibeamt:innen bekannt und die Reaktion fällt oft sehr unangemessen aus.

Dienstaufsichtsbeschwerde
In so einem Fall kann eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt werden. Du kannst auch Dienstaufsichtsbeschwerden stellen, wenn du unangemessene (rassistische, gewalttätige, …) Polizeieinsätze beobachtest. Wende dich dafür an diese Stelle . Was es bei einer Dienstaufsichtsbeschwerde zu bedenken gibt, findet sich hier.
Da die Polizei eine Beschwerde über die Polizei selbst bearbeitet, sind die Effekte begrenzt.


Ombudsstelle

Mit der Ombudsstelle wurde vom Land Berlin eine übergeordnete Stelle geschaffen, um auf Diskriminierungen zu reagieren. Hier können sich Betroffenen und Zeug:innen von (rassistischen) Diskriminierungen melden. Das geht per Email [ladg-ombudsstelle@senjustva.berlin.de]oder über ein Online-Formular.

Register

Bist du Zeug:in rassistischer (Polizei-)Übergriffe, kannst du dich auch an das Register in deinem Bezirk wenden. Bei den Registern werden diskriminierende Übergriffe gesammelt, dokumentiert und veröffentlicht.
Eine Übersicht aller Berliner Register findest du hier , für den Wrangelkiez ist das Register Friedrichshain-Kreuzberg ansprechbar.


Unsere wichtigste Erkenntnis
Mit Freund:innen reden hilft: Wie fühlst du dich? Wie kannst du Ohnmacht überwinden? Wie kannst du wieder handlungsfähig werden? Und was brauchst du dafür?
Und am besten ging es uns dabei immer gemeinsam, wenn wir nicht allein waren und uns hinterher  austauschen konnten.
Unsere Einschätzung: Wenn Leute bei einer Polizeikontrolle vor Ort sind, hilft das den Betroffenen sehr, denn die Polizei weiß genau, dass sie beobachtet wird. Wenn wir mehrere sind, um so besser, auch für uns.

März 2021