Bericht vom 3. Prozesstag am 27. März 2025

Nachts am 5. November 2019 stellt Zefanias M. am Hermannplatz Securitys zur Rede, die einen Obdachlosen rauswerfen wollen. Sie drangsalieren ihn, wenden Gewalt an. Sie rufen die Polizei und die hinzugerufenen Polizeibeamten eskalieren die Situation weiter. Anstatt ruhig mit allen Beteiligten zu reden, behandeln sie Zefanias fälschlicherweise als Agressor, schlagen ihn, drücken ihn zu Boden, legen ihm Handeschellen an und fixieren ihn mit einem Knie im Nacken (Warum eine Kniefixierung lebensgefährlich ist, könnt ihr hier nachlesen).
Zefanias wird ohnmächtig, überlebt aber zum Glück.
Nach der Kniefixierung am Boden fixiert ihn ein Beamter weiter auf der Bank und keiner der anwesenenden Beamt*innen ruft ärtzliche Hilfe für den bewusstlosen Zefanias.
Wegen Widerstand und Beleidigung wird er drei Jahre später angeklagt, aber das Verfahren wird aufgrund von Video-Beweisen vor dem Landgericht eingestellt.
Jetzt verklagt er das Land Berlin auf Schadensersatz. Die Prozesstage sind durchzogen von Ungereimtheiten und Unterstellungen.
Am 27. März 2025, dem dritten Prozesstag, wurden zwei Polizeibeamt*innen als Zeug*innen gehört.
Der erste Zeuge sagt aus, dass er zum Einsatzort kam und alles bereits gelaufen war: Zefanias habe mit gefesselten Händen auf der Bank gesessen und einen alkoholisierten Eindruck gemacht. Er erinnere sich noch genau, dass dieser sich massiv sexuell beleidigend geäußert habe und zitierte wortwörtlich. Er und seine Kollegin seien an den weiteren Maßnahmen nicht beteiligt gewesen und nach fünf Minuten wieder gegangen.
Widersprüche
Wie die Videos der Überwachungskameras zeigten, war der Zeuge allerdings ca. 30 Minuten vor Ort. Auch lag Zefanias noch am Boden und wurde gewaltsam durch mehrere Beamten zu Boden gedrückt. Dass der Polizist bei seiner schriftlichen Zeugenaussage 2019 sowie beim Gerichtstermin 2022 wg. Widerstandshandlungen ausgesagt habe, dass Zefanias die Polizist*innen „lediglich“ als „Hurensöhne“ beleidigt habe und die sexualisierten Beleidigungen heute erstmals erwähnte, sorgte für weitere Irritationen.
Mit der Frage konfrontiert, warum er sich an so viele Details nicht mehr bzw. weniger oder anders erinnere aber sich bei den Beleidigungen so sicher sei und heute sogar erstmalig von weiteren Beleidigungen auf sexualisierter Basis berichtet, antwortete der Zeuge, dass das Geschehen ja schon sechs Jahre zurückliege und er sich deswegen nicht genau erinnere. An die sexualisierten Beleidigungen erinnere er sich allerdings genau, auch sechs Jahre später und auch, wenn er sie bei seiner früheren Zeugenaussage und dem Gerichtsverfahren nicht bzw. anders benannt habe.
Trotz dieser Widersprüche und des Antrags des Klägers wurde der Zeuge nicht vereidigt.
Pausengespräche
Auf Bitte des Rechtsanwalts des Landes Berlin gibt es eine kurze Pause, in der sich beide Polizei-Zeug*innen im Flur unterhalten.
Ohne Erinnerung
Nach der Pause wird die zweite Zeugin aufgerufen. Sie könne sich an nichts mehr außer die Anfahrt zum Einsatz und eine Schienbein-Verletzung eines Kollegen (die zuvor nicht zu Protokoll gegeben wurde) erinnern und wird nach kurzer Zeit entlassen.
Perspektive
Abschließend verkündete die Richterin ihre vorläufige rechtliche Einschätzung. Sie meint, dass sie die konkrete Kniefixierung zeitweise für eine Amtspflichtverletzung hält. So sehe sie eine unverhältnismäßige Gewaltanwendung ab dem Zeitpunkt, in dem Zefanias Handfesseln angelegt wurden, in der Länge der Kniefixierung und der anschließenden Fixierung auf der Bank. Sie meint auch, dass sie aufgrund des Videos eine Schlagbewegung Zefanias erkenne und daher die erste Gewaltanwendung durch die Polizisten rechtmäßig sei(obwohl das Verfahren gegen Zefanias wegen der angeblichen Widerstandshandlung schon im Jahr 2023 am Landgericht eingestellt wurde.
Es bleibt offen, ob die Richterin bei dieser rechtlichen Einschätzung bleibt.
Diese vorläufige Einschätzung der anfänglichen Gewaltanwendung der Polizeibeamten kommentiert Zefanias wie folgt: “Was soll ich machen, wenn ich von Tätern in Uniform geschlagen werde, wenn ich davor von anderen in Uniform geschlagen wurde, nur weil ich einem Obdachlosen helfe?”
Die Richterin schlägt einen Vergleich vor, was der Anwalt des Landes Berlin ablehnte. Er wolle eine Entscheidung.
Am Donnerstag, 17. April wird das Urteil um 13 Uhr am Landgericht Berlin, Tegeler Weg 17-21 (10589 Berlin) von der Richterin verkündet.